In Hanau ist es wieder passiert: Ein bewaffneter Rassist hat zehn Menschen ermordet. Mit diesem Text wollen wir Kontinuitäten rechter Morde und Anschläge der jüngeren Geschichte in Deutschland aufzeigen.
Am 04. November 2011 enttarnte sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst, der in der Zeit von 1999 bis 2011 zehn rassistische Morde, mehrere Sprengstoffattentate und Raubüberfälle verübt hat. Schon vor der Selbstenttarnung gab es Hinweise darauf, dass ein rechtes Netzwerk hinter den Morden stecken könnte. Doch im Zentrum der Ermittlungen stand das Umfeld und die Familien der Ermordeten, die jahrelang von Polizei und Behörden drangsaliert und gedemütigt wurden. Nach der Ermordung von Halit Yozgat am 06. April 2006 fand in Kassel eine Demonstration unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ mit Angehörigen der vom NSU ermordeteten Enver Şimşek und Memet Kubaşık sowie mehr als 4.000 Teilnehmer*innen vor allem aus migrantischen Communities statt. Dass hinter den Morden ein rechtes Netzwerk stehen müsse, war den Angehörigen zu der Zeit schon klar, doch die Ermittlungsbehörden blieben ihrem rassistisch aufgeladenen Ermittlungsschema weiterhin treu.
Am 22. Juli 2016 tötete ein 18-jähriger Schüler, der sich vorher in diversen offen rechtsradikalen Foren und Chatgruppen radikalisiert hatte, im Umfeld des Olympia-Einkaufszentrums in München neun Menschen und verletzte fünf weitere. Alle Todesopfer waren als Migrant*innen markierte Menschen. Im Nachgang des Anschlags wurden verschiedenste Expert*innen-Gutachten zum Hintergrund der Tat erstellt, in denen viele die klare rechtsradikale Ideologie des Täters gefährlich verkannten. Erst 2019, nach dem antisemitischen Anschlag von Halle, wurde dieses Attentat längst überfällig offiziell als rechts motiviert anerkannt.
Am 02. Juni 2019 wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke, der sich stets für eine Willkommenskultur und gegen Pegida und seine Anhänger*innen ausgesprochen hatte, vor seinem Wohnhaus ermordet. Der mutmaßliche Täter ist ein jahrelang aktiver Neonazi, der aus dem militanten Nazimilieu stammt und aus unerklärlichen Gründen angeblich ab 2009 nicht mehr von den Behörden beobachtet wurde. Mittlerweile ist bekannt, dass sein Name in den gesperrten NSU-Akten 11 Mal auftaucht und er auch mit dem NSU-Unterstützer Temme zu tun hatte.
Am 09. Oktober 2019 wurden Jana L. und Kevin S. Opfer eines rechten Attentäters, der am höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur Menschen in einer Synagoge im Hallenser Paulusviertel töten wollte, aber an der Türverriegelung scheiterte. Der Attentäter hatte seine Tat im Internet live gestreamt und bereits im Voraus ein rassistisches Manifest, angelehnt an das des Christchurch-Attentäters, verfasst. In diesem Manifest bedient er sich klassischer neurechter Ideologie, wie sie auch Identitäre Bewegung und Co. gebrauchen. In seinen Internetprofilen in diversen rechten Foren bezieht er sich außerdem positiv auf den rechten Attentäter Breijvik, der in der rechten und rechtsradikalen Internetcommunity als Held gefeiert wird.
In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020 erschoss ein Rechter gezielt neun Menschen in einer Shishabar und in einem Kiosk im südosthessischen Hanau. Kurz darauf erschoss er in seiner Wohnung seine Mutter und sich selbst. Ein gefundenes Schreiben, dass der Täter verfasst hatte, verdeutlicht sein rassistisches Tatmotiv und seine rechten Überzeugungen. Er schwafelt von einer Säuberung und der Auslöschung ganzer Völker, die er als „Eindringlinge“ in den hiesigen Kulturkreis meint zu erkennen.
Die Auswahl der Shisha-Bars als Tatorte erfolgte sicherlich nicht zufällig – in seinem Schreiben bezieht der Täter sich mehrmals auf „Ausländerkriminalität“ deren Schwerpunktorte in einem rassistisch und rechts geprägten Sicherheitsdiskurs eben angeblich diese Shisha-Bars sind.
Von diversen Politiker*innen und Journalist*innen wurde gerade nach dem Anschlag in Halle und nach dem Mord an Walter Lübcke die Theorie des Einzeltäters hochgehalten, der ohne Unterstützungsnetzwerk gehandelt hat. Diese Theorie des Einzeltäters lässt sich nicht halten und verharmlost die Kontinuitäten rechter Morde, Anschläge und Gewalt in Deutschland und global. Alle diese hier genannten Täter und auch alle weiteren rechten Gewalttäter verbindet eine gemeinsame Ideologie, die die Ungleichwertigkeit verschiedener „Rassen“ propagiert und den bewaffneten und gewalttätigen „Widerstand“ gegen vermeintliche „Eindringlinge“ anderer Kulturen als einzigen Ausweg sieht.
Die Attentäter von Halle und München waren in denselben rassistischen und rechtsradikalen Foren unterwegs, in denen sie sich vermutlich immer weiter radikalisierten. Sie mögen vielleicht nicht am selben Ort gewesen sein und sich vielleicht auch gar nicht persönlich gekannt haben, aber sie verfolgen ein gemeinsames Ziel und hatten gemeinsame Plattformen des Austauschs. Der Lübcke-Mörder hatte mutmaßlich Verbindungen zum NSU und seinem Unterstützer*innen-Netzwerk, dessen Größe bis heute nicht vollumfänglich erfasst werden kann, da eine Aufklärung des NSU-Komplexes durch den Aktenverschluss der Verfassungsschutzämter und Ermittlungsbehörden verunmöglicht wird.
Zentral ist jetzt, die Kontinuitäten zwischen diesen Morden und Attentaten zu erkennen und zu benennen. Es braucht jetzt mehr als nur einen gesellschaftlichen Aufschrei, es müssen Konsequenzen gezogen werden!
Der Täter in Hanau mag allein gehandelt haben, legitimiert sah er seine Tat durch die permanente rassistische Hetze in den sozialen Medien, der Öffentlichkeit und den Parlamenten. Hetze, die vor allem durch die AfD, aber auch Teilen anderer Parteien verbreitet wird.
Die AfD als geistige Brandstifterin dieser Taten gehört konsequent ausgeschlossen, diffamiert und bekämpft. Nach den Anschlägen der 90er Jahre hieß es: Bildet Antifa-Gruppen. Jetzt ist es wieder an der Zeit! Es ist Zeit für Migrantifa.
Wir stehen vor einem Scheideweg zwischen Rechtsterrorismus und offener und pluraler Gesellschaft. Weitere schwer bewaffnete Männer, teilweise ausgebildet in Polizei und Bundeswehr, warten auf den „Tag X“ oder sehen sich zum „führerlosen Widerstand“ ermächtigt. Weitere potenzielle Nazi-Täter stehen bereit. Die nächsten nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Angriffe und Anschläge werden schon geplant und vorbereitet!
Sich für eine offene Gesellschaft einzusetzen heißt, dass es unsere Aufgabe ist, migrantische Communities, von Rassismus Betroffene und Selbstorganisierungen zu unterstützen und uns alle vor weiteren Angriffen zu beschützen. Wir müssen die Verantwortlichen für das Erstarken von (bewaffnetem) Rassismus öffentlich benennen und klarmachen, dass jegliche Kooperation mit alten und neuen Faschist*innen und Rechten eine Verharmlosung rechter Gewalt und eine Verhöhnung der Opfer von rassistischen Morden und ihren Angehörigen ist. [Das Festhalten an der unsäglichen Extremismustheorie, wie es z.B. die CDU auch aktuell noch prominent betreibt, ist nur ein Beispiel für diese Verharmlosung.
Wichtig ist gerade jetzt: Hört auf diejenigen, die von rechter Gewalt und Rassismus tagtäglich betroffen sind! Hört auf die Familien und Angehörigen der Opfer dieser Anschläge und anderer rechter Gewaltverbrechen!