Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag zum ZeroCovid-Aktionstag am 10. April 2021
Eine Rede für politischen Protest, Selbstorganisierung und Widerstand in der Pandemie zu halten, fällt schwer, wenn in eben jener Pandemie so oft die Luft zum Atmen fehlt. Sie fehlt nicht nur den Corona-Kranken auf den Intensivstationen. Sie fehlt auch uns allen angesichts der Dauer und Schwere der Freiheitsbeschränkungen, die wir täglich mittragen. Und sie fehlt uns noch umso mehr, wenn wir auf unserem Handy und in der Zeitung von der Unfähigkeit und Ignoranz der staatlichen Politik lesen, die dieser elenden Situation kein Ende zu bereiten weiß. Diese politische Mutlosigkeit macht uns aber auch wütend und bringt uns auf die Straße. Um diese elende Lage als das was sie ist zu benennen und einen Weg aus dem Ganzen zu weisen, gehen wir heute in Leipzig auf die Straße – besser: wir fahren mit unseren Fahrrädern und ausreichend Abstand durch die Stadt. Wir freuen uns, euch hier zu sehen.
Das deutsche Pandemiegeschehen war in der 1. Welle noch von günstigen Zuständen begleitet. Nun stecken wir mitten in der 3. Welle, die erst ermöglicht wurde von einem politischen und staatlichen Versagen. Es ist ein Desaster. Immer wieder wurden Rufe nach Öffnungen von der Realität eingeholt. Der Virus macht Schließungen wieder notwendig, aber die großen Anstuckungsherde -Fertigungshallen und Großraumbüros- bleiben unangetastet. Während trotz Corona weiter Autos vom Band laufen, Flugzeuge montiert werden und die Schlachthöfe auf Hochtouren arbeiten, wird unser Privat- und Kulturleben hart eingeschränkt. Die Kontakte, die während der Arbeitszeit kein Problem zu sein scheinen, werden zuhause rigoros beschnitten. Selbst draußen, auf den Straßen und auf den Parks, wo das Ansteckungsrisiko denkbar niedrig ist, werden teils absurde Regeln polizeilich überwacht und durchgesetzt. Die soeben eingeführten Ausgangsbeschränkungen zeigen diese Absurdität nochmal besonders. Die verzweifelte Politik weiß nicht weiter und meint unsere eh schon eingeschränkten Freiheiten noch mehr eingrenzen zu müssen. Sie kuscht vor der Unternehmenslobby und ihren Verwertungsinteressen.
Auch die Pandemiegeschichte wiederholt sich in Wellen: erst als Tragödie, dann als Farce!
Letztes Jahr setzten wir die Masken freiwillig auf, um uns, aber vor allem andere zu schützen. Nun würden wir die Masken gerne wieder ablegen, aber können noch nicht. Die Schutzmasken saugen unsere Tränen auf, die wir -verzweifelnd über die gegenwärtige Lage- vergießen. Es kann und darf so nicht weiter gehen! Deswegen sind wir heute hier.
Wir fordern einen sofortigen solidarischen Shutdown!
Und 3 Wochen bezahlte Pause!
Ein radikales Umschwenken in der Pandemie ist nötig. Und es ist machbar:
Zu den Momenten der Pandemie, die wir auf keinen Fall vergessen sollten, gehört jener, als die Produktion effektiv heruntergefahren wurde. Die Produktion wurde umgestellt oder gar pausiert. Der 1. Welle konnte Einhalt geboten werden und nebenbei sanken auch die CO2-Emissionen rapide.
Wir sollten aber auch nicht den Moment vergessen, in dem die nationalen Regierungen begannen, all das wieder schnell rückgängig zu machen. Man vergaß oder ignorierte, um der Wirtschaft und den Vermögenden wieder auf die Beine zu helfen.
Und noch weniger sollen wir jenen Moment vergessen, als sich gegenseitig medizinische Lieferungen geraubt wurden und man Impfdosen für sich reklamierte. Erst kommt das Impfen, dann die Moral!
Das nationale Interesse zeigte immer wieder seine hässlichen Fratze.. und tut es immer noch. Solidarität, Gerechtigkeit und das Einfordern von Freiheit sind unsere Mittel gegen die Pandemie! Die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für alle vorbei ist.
Wir wissen: Es sind nicht bloß einige Stellschrauben, an denen die Regierungen zur Verbesserung der Lage drehen müssen. Die Ursachen dieser Politik liegen tiefer. Der Mythos vom besten aller Systeme bröckelt an allen Ecken und Enden: es reitet uns in so viele Schlamassel rein und verkauft uns diese als unumgehbar.
Selbst im ach so gut organisierten Deutschland hinkt die Impfstoffproduktion massivst hinterher. Man schneidet sich mit den Patenten auf die Impfstoffe auch ins eigene Fleisch. Alle Länder ohne eigene -und ausreichend- Produktionszkapazitäten haben einen großen Mangel an Impfstoff. Der Neoliberalismus hat das Planen verlernt. Indem man die Produktion für besondere gesellschaftliche Zwecke -wie der Impfstoff einer ist- nicht frühzeitig umstellte, hat er dies bewiesen. Auch der Pflege- und Gesundheitssektor hechelt unter dem neoliberalen Spardiktat. Der Care-Sektor braucht gerade jetzt eine Aufwertung, nicht eine weitere Verschlimmerung der Zustände. Es droht eine Berufsflucht..! Das wollen die Pflegebedürftigen und wir alle, die das mal sein können, wirklich nicht erleben..
Das kapitalistische System ist eben nicht darauf angelegt, die Natur und Menschenleben zu schützen. Wir erleben eine neoliberale Politik, die den Tod tausender Menschen in Kauf nimmt. Wir erleben eine Politik des Sterbenlassens.
Der jüngst verstorbene David Graeber fragte einmal: „Wir stehen jeden Morgen auf und machen Kapitalismus. Warum machen wir nicht mal was anderes?“ Was die Politik sagt und tut, grenzt an Wahnsinn. Als ein Beispiel gilt da Laschets sog. „Brückenlockdown“. Man tut immer wieder das Gleiche, man nennt es anders, aber erhofft sich davon andere Ergebnisse. „Nein!“, das muss aufhören! Wir fordern eine solidarische Pause und einen Shutdown der Produktion. Denn Zehntausende fanden in der Pandemie ihren Tod und noch mehr leiden an Langzeitfolgen ihrer Erkrankung. Dass diese Zahlen nicht noch weiter steigen, dagegen gehen wir heute auf die Straße. Wir wissen, dass es auch nach einer dreiwöchigen Pause noch Coronafälle geben wird. Corona wird nicht ausgemerzt, sondern ist nun Teil unserer neuen Realität. Doch halten wir deshalb die „0“ nicht für eine Illusion, sondern für den politischen Richtwert. Unsere Leben dürfen nicht völlig dem Vermeiden von Ansteckungen geopfert werden. Aber um wieder dorthin zu kommen -um wieder leben und um wieder kämpfen zu können- braucht es nun eine solidarische Pause. Eine Pause für uns alle, aber vor allem eine Pause für den Kapitalismus! Für ein Ende der Pandemie!
Wir tragen die Masken und beschränken uns selbst, aber nicht damit wir möglichst schnell zur Normalität zurückkehren! Denn es war ja die kapitalistische Normalität, die durch Massentierhaltung und Naturzerstörung die Bedingungen für globale Pandemien stark erweitert hat. Es ist die kapitalistische Normalität, die uns trennt und voneinander distanziert, mehr als dies eine Maske und anderthalb Meter Abstand je könnten.
Eine neue Normalität ist längst da. Dass sie sich nicht weiter zum Schlechten und dass sie sich zum Guten bewegt, liegt an uns. Wir müssen die Corona-Müdigkeit ablegen und die Welt nach Corona selbst mitgestalten. Für eine Welt, in der das eigene Leben und das Leben der Anderen gleichermaßen geachtet wird. Für eine Welt, in der wir alle atmen können. Das ist eine Welt, für die es sich zu kämpfen lohnt.