Redebeitrag am Tag der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Prozess

 

Liebe Genoss* innen, liebe Gefährt* innen,

er ist da. Nach so vielen Verzögerungen, nach so vielen endlos zähen Verhandlungstagen, nach so vielen mit hanebüchener Erklärung abgeschmetterten Beweisanträgen ist er da – der Tag der Urteilsverkündung. Was für ein beschissener Tag! Und trotzdem wage ich zu sagen: Endlich.

Seit zweieinhalb Jahren warten die Beschuldigten, aber auch ihre Gefährt* innen, ihre Familie, ihre Freund* innen, ihre Genoss* innen auf diesen Tag. Seit zweieinhalb Jahren sitzt Lina in Haft. Seit zweieinhalb Jahren müssen die Beschuldigten und die Menschen, die ihnen nahestehen eine größtenteils furchtbare Berichterstattung ertragen. Eine Berichterstattung, die öffentlich ein Bild von Lina zeichnet, das aufbaut auf Sexismus und ihren boulevardesken Fantasien von antifaschistischer Militanz. Seit zweieinhalb Jahren beobachten wir die Handlungen einer Bundesanwaltschaft, die nicht nur unhinterfragt die Schlussfolgerungen aus den einseitigen Ermittlungen der Soko Linx übernimmt, sondern der auf höchst bedenkliche Weise entlastende Aktenvermerke abhanden kommen. Seit zweieinhalb Jahren schauen wir zu, wie der Senat die Verteidigung verunglimpft und die Beschuldigten vorverurteilt anstatt unvoreingenommen zu prüfen. Seit zweieinhalb Jahren erwarten wir nichts Gutes, warten nicht auf die Erleichterung, sondern rechnen mit dem Schlimmsten. Seit zweieinhalb Jahren. Weil wir wissen was wir von einer Justiz zu erwarten haben, die für die Vorwürfe von Körperverletzung gegenüber gewalttätigen Faschisten ein Strukturermittlungsverfahren nach §129 einleitet. Und trotzdem. Trotzdem bleibt (blieb) für uns da die Hoffnung, dass es besser ausgeht als befürchtet. Weil ohne Hoffnung leben, ohne Hoffnung kämpfen so schwierig ist. Weil wir nicht resignieren wollen, weil ich nicht resignieren will. Weil ich nicht zynisch werden will. Weil ich weiterkämpfen will, so wie Rosa Luxemburg es schon gesagt hat: Trotz alledem.

Aber das ist so verdammt schwierig. So verdammt schwierig. Vieles wurde schon gesagt, es wurden in den letzten zweieinhalb Jahren wichtige und tiefgehende Analysen geschrieben. Es gab Blogposts, Diskussionsrunden, Kundgebungen, Redebeiträge die verschiedenste Aspekte dieses vermaledeiten Verfahrens und dieser beschissenen Ermittlungen beleuchtet haben. Es gab auch gut recherchierte Medienartikel, Journalisten, die hinterfragt haben, die facettenreich geschrieben haben. An dieser Stelle lassen wir einen Dank da an Edgar Lopez und Konrad Litschko.

Diese Analysen wollen wir nicht wiederholen. Repression gegen linke Kämpfe ist ein politisches Mittel der Klassenjustiz und hat Tradition. Wir wollen anlässlich dessen über die Gefühle sprechen, die dieser ganze Scheiß in so vielen von uns ausgelöst hat. Weil dafür auch Platz sein muss. Weil wir füreinander da sein wollen. Denn wir merken was dieses Verfahren mit uns als Genoss:innen macht. Wie viel Unsicherheit und Angst besteht. Neben der Wut und Verzweiflung. Wir wollen uns von diesen Gefühlen nicht lähmen lassen. Deswegen lasst uns über diese Gewalt vom Staat sprechen und einen kollektiven Umgang finden. Denn der Staat statuiert an Einzelnen ein Exempel, aber gemeint sind wir Alle.

Aber dieser ganze Prozess geht nicht spurlos an uns vorbei. Dieses für nicht direkt Betroffende mitlaufende Rauschen, das doch auch im Alltag wahrnehmbar ist, es hinlässt tiefe Spuren. Es entsteht einerseits Distanz, andererseits rücken wir näher zusammen.

Wir haben Angst, dass durch diesen Schnüffelparagraphen unsere Gruppen und Strukturen ausgeleuchtet und weiter kriminalisiert werden. Dass Antifaschismus und andere Bewegungen eingeschränkt und auseinandergerissen werden.
Ich habe Angst, dass mir Genoss* innen und Vertraute genommen oder eingeschüchtert werden.
Wir sind verunsichert, weil unsere vermeintlich sicheren Räume sich manchmal gar nicht mehr so sicher anfühlen. Auch weil die letzten Monate dieses Prozesses durch den Verrat des vermeintlichen Kronzeugen Domhövers geprägt waren. Domhöver, ich frage dich, wie konntest du nur? Wie zur Hölle konntest du Menschen dem Staat ausliefern, die du früher als deine Gefährt* innen bezeichnet hast? Wie konntest du eine Sache verraten, die dir früher angeblich so wichtig war? … Wie konntest du nur?

Ich bin wütend, weil Faschos sich Raum nehmen und sich organisieren, während so viele Antifas sich in Antirep- und Soliarbeit abmühen und praktischen Antifaschismus rhetorisch verteidigen müssen. Dass dadurch Kräfte gebunden werden. Dass wir uns überlegen, ob und welche möglichen Konsequenzen wir individuell tragen können. Ich bin wütend, weil die Repression wirkt.

Wenn mir Menschen erzählen, dass sie von der Verhandlung und den Repressionen noch nichts gehört haben oder wenn sie meinen, dass das ja jetzt wirklich nichts mit ihnen zu tun hat, dann spüre ich Wut. Das was hier passiert, geht nicht nur eine radikale Linke oder autonome Bewegung was an. Die Kriminalisierung und der Paragraph 129 können sich gegen uns alle richten, von militanter Antifa bis Klimabewegungen wie der Letzten Generation.
Ich bin wütend, dass der kollektive Aufschrei ausbleibt, dass Lina’s Haft als innerlinkes Problem gehandhabt wird. Dass Neonazis sich bewaffnen und Räume aneignen können und diejenigen, die dagegen vorgehen, kriminalisiert werden.
Ich bin wütend, dass dieser Prozess von Skandalen und Willkür gekennzeichnet ist und trotzdem bei vielen Menschen, die eigentlich linke Positionen vertreten, das Vertrauen in den Sicherheitsapparat so hoch ist. Wo ist die Reaktion der sogenannten Mitte? Der Fall geht alle etwas an, die in ihrer Politik von Solidarität reden. Wenn sich Menschen aus der so häufig beschworenen Zivilgesellschaft entscheiden, sich aus diesem Verfahren und diesem Urteil „rauszuhalten“, legitimieren sie damit staatliche Überwachungen und Einmischungen in unsere Praxis, die Gewalt die wir immer wieder erfahren. Das Ausbleiben des zivilgesellschaftlichen Aufschreis legitimiert den Staat und seine rechtlichen Befugnisse. Je stärker der gesellschaftliche Diskurs von rechten Kräften dominiert wird, desto autoritärer kann der Staat gegen emanzipatorische Bestrebungen im Allgemeinen und antifaschistische Praxen im Besonderen vorgehen. Es besteht die Gefahr, dass eine verstärkte Kriminalisierung von Antifaschist*innen auf weniger gesellschaftliche Gegenreaktionen trifft.

Aber trotz der Ängste und der Wut, die dieser Prozess und dieses Urteil in mir auslösen, bin auch so froh, so erleichtert zu sehen, dass trotz der Länge des Prozesses, trotz des Ausbleibens des öffentlichen Diskurses, trotz der Hausdurchsuchungen und Repressionen, sich so viele Menschen solidarisch zeigen und heute hier sind. Das schafft Hoffnung. Es zeigt, dass es nicht so leicht ist, uns zu spalten, dass wir da sind, wenn es gilt zusammenzustehen.

Lasst uns also gemeinsam auf die Straße gehen. Lasst uns Angst und Verunsicherung ein Gefühl des gegenseitigen Vertrauens entgegenbringen. Lasst uns Strukturen aufbauen, die offen bleiben und trotzdem antifaschistische Arbeit ermöglichen. Lasst uns viele und laut sein.
Lasst uns weiter eine antifaschistische Arbeit machen, die Möglichkeitsräume für queere, intersektionale und solidarische Praktiken schafft. Die den Raum nicht Rechten und Konservativen überlässt.
Jeder Moment, der zeigt, dass wir mit Repression nicht alleine sind, ist ein so wichtiger Moment. Take care of each other so we can be dangerous together!

Wir wollen einen Weg finden, der es uns ermöglicht unserer politischen Arbeit trotz oder gerade wegen
des Damoklesschwertes der Übermacht des
Staates nachzugehen. Eines muss klar sein, es geht nicht um eine juristische Schuldfrage, die uns von Seiten des Staates aufgedrückt wird, sondern um eine
antagonistische Grundhaltung gegenüber einer politischen Repression und Justiz. Getroffen hat es Einzelne. Gemeint sind wir alle. Antifaschismus ist in all seinen Formen stets notwendig und grundsätzlich legitim. Und das dürfen wir uns nicht nehmen lassen!


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